Zwischen Alltag und Leichtigkeit: Warum spielen Erwachsene? Und warum sollten sie es mehr tun?



Warum spielen Erwachsene? Weil es Spass macht und gut tut. Zumindest für die meisten. Mein Mann hingegen gehört nicht dazu. Er verliert nicht gern. Ich jedoch liebe das Spiel: Den Nervenkitzel, die Befriedigung beim Gewinnen, das Entdecken und die Neugier. Spielen wird als universelle Sprache von Kindern bezeichnet. Die UN-Kinderrechtskonvention spricht vom Grundrecht auf Spielen für alle Kinder. Und wir Erwachsenen? Zwischen Arbeit, Verantwortung und Verpflichtungen vergessen wir das Spielen allzu oft oder betrachten es als Zeitverschwendung. Doch die Wahrheit ist, Spielen ist nicht nur für Kinder, sondern auch für uns Erwachsene entscheidend für unsere mentale Gesundheit und unser Wohlbefinden. Die Forschung zeigt, dass Spielen bei der Stressbewältigung hilft, resilient macht und uns dabei unterstützt unser echtes Sein zu entdecken. Stuart Brown - Arzt, Psychiater, Forscher und Gründer des National Institute for Play - nennt Spiel eine „dringende und gesunde Notwendigkeit“.

Warum also sollten wir Erwachsenen mehr spielen? Was ist denn Spielen genau? Woher kommt es? Und wie können Sie es einfach in Ihren Alltag integrieren und mehr Leichtigkeit und Freude in Ihr Leben bringen? Genau diesen Fragen geht dieser Artikel nach.

1. Was ist Spielen?

Vereinfacht gesagt ist Spielen etwas ohne Ziel und Zweck zu tun - einfach nur, weil es Spass macht.

Wenn ich spiele, um zu gewinnen, dann spiele ich nicht. Wenn ich male, um ein schönes Resultat zu bekommen, dann spiele ich auch nicht. Wenn ich aber male um des Malen selbst Willen, einfach um Freude zu haben, dann spiele ich. Spielen hat also nicht mit der Beschäftigung selbst etwas zu tun, sondern mehr mit der inneren Haltung, wie wir etwas tun. Zudem löst Spielen Zustände des Eingetauchtseins, der Zeitlosigkeit oder des Flows aus.

Ralph Waldo Emerson sagte einmal:

“Spielen zu können ist eine wunderbare Gabe.”

Ja, dem kann ich nur zustimmen. Spielen zu können ohne Ziel und Zweck ist wirklich ein wundervolles Geschenk.

Und nun sehen wir vielleicht auch schon, warum das oft so schwer ist.

2. Warum Erwachsene oft nicht spielen

Wir Erwachsenen nämlich haben echtes Spielen verlernt, denn wir tendieren alles mit einem Ziel und Zweck zu tun. Speziell in der Schweiz sind wir extrem darin. Ich habe andere Kulturen kennen gelernt, bei welchen es nicht so ausgeprägt scheint. Aber hier muss alles ein Ziel haben, damit es wertvoll oder sinnvoll erscheint. Wenn wir mit anderen Menschen zusammensitzen, muss uns diese Begegnung etwas bringen. Wenn wir tanzen, müssen wir uns verbessern. Wenn wir Sport treiben, leistungsfähiger werden. Wenn wir gesund essen, wollen wir abnehmen. Unser Optimierungswahn ist tief in uns angelegt und beeinflusst alles, was wir tun. Echtes Spiel hat darum kaum Platz und wir wissen oft nicht mehr, wie es geht.

Nicht nur die Verzweckung verunmöglicht uns aber das Spielen. Auch Stress lässt uns das Leben nicht durch die Augen des Spiels betrachten. Oft haben wir schlicht keine Zeit. Müssen Verpflichtungen nachgehen oder funktionieren. Müssen unsere endlosen To Do`s erfüllen und sind gestresst. Auch weil wir zu viel in unseren Alltag reinpacken.

Spielen empfinden wir als Zeitverschwendung und bekommt wenn überhaupt - vielleicht am Wochenende Raum.

Vater und Kind spielen zusammen als Roboter: Symbol dafür, warum Erwachsene spielen und es mehr tun sollten.

Spielen bedeutet etwas ohne Ziel und Zweck zu tun - einfach nur, weil es Spass macht.

3. Nun, woher kommt Spielen?

Die neurobiologische Sicht sagt, dass uns Spielen angeboren ist und darum als ein fundamentaler Aspekt unserer menschlicher Natur betrachtet wird. Als Menschen spielen wir. Wir sind gehirntechnisch verdrahtet zum Spielen. Spiel-Forscher fanden Gehirnstrukturen, die sich in den Hirnstämmen unter der Hirnrinde und im oberen Rückenmark befinden und Mechanismen des Spiels aufweisen. Sie nennen diese Strukturen „die Wege des Spiels im Gehirn“. Neulich wird auch der Periaquäduktale Grauwald im Mittelhirn untersucht, welcher unser Spielverhalten beeinflusst. Ursprünge von Spiel befinden sich also in unserem Gehirn. Eigentlich können wir nicht anders als Spielen. Es gehört zu uns. Das ist auch der Grund, warum wir spielen nicht lernen müssen, sondern einfach wieder neu aktivieren.

Aber warum sollten wir Erwachsenen nun mehr spielen? Was ist der Nutzen und die Bedeutung des Spielens für unsere mentale Gesundheit und unser Wohlbefinden?

4. Warum Erwachsene mehr spielen sollten

Für mich gibt es dafür sechs wesentliche Gründe, die von der Spiel-Forschung unterstützt wird:

  • Spielen hilft uns bei unserer Stressbewältigung: Aufgrund meiner Geschichte und meinem fragilen autonomen Nervensystem interessiert mich stets, welchen Einfluss Spielen auf das Nervensystem hat. Spielen stärkt die Fähigkeit zum flexiblen Wechsel zwischen Aktivität und Ruhe. Also zwischen dem Sympathikus, unserem Mobilisationssystem, und dem Parasympathikus, unserem Entspannungssystem. Ein guter und flexibler Wechsel bedeutet, dass man ein resilientes autonomes Nervensystem hat. Gerade bei Angst, Dauerstress oder Traumata ist diese Fähigkeit vermindert. Spielen stellt also ein resilientes Nervensystem wieder her und hilft, dass man sich an alle Situationen gut adaptieren kann. Dies bewirkt eine gelungene Stressbewältigung.

  • Spielen entspannt: Beim Spielen werden Endorphine ausgeschüttet. Das sind körpereigene Neurotransmitter, die in der Hirnanhangdrüse produziert werden. Sie wirken zum einen antidepressiv und haben einen beruhigenden Effekt, weil sie das Stresshormon Cortisol senken. Spielen fördert also Entspannung und körperliches und emotionales Wohlbefinden.

  • Spielen macht uns leicht: Weil wir beim Spielen völlig im Moment und in unserem Flow sind, hebt es uns auf eine ganz andere innere Ebene, wodurch das Gewicht des Alltags und unsere Sorgen verblassen. Obwohl sich an unseren Umständen nichts verändert hat, fühlen wir uns leichter und sorgloser, weil wir an etwas Anderes denken. Spielen transportiert uns in eine andere Welt. Für Spiel-Forscher ist Spielen ein Katalysator, um im Alltag glücklicher und leichter zu sein und tägliche Routinen produktiver zu tun.

  • Spielen liegt im Zentrum unserer innovativen Kreativität: Grund dafür ist, dass Spielen neue neuronale Vernetzungen bildet und die Verstärkung und Neubildung von Synapsen unterstützt. Zudem bildet es ein spezifisches Protein, das das Wachstum von Nervenzellen und Neuronen unterstützt. Dies alles ermöglicht neues, innovatives Denken und Handeln, fördert Kreativität und unsere Problemlösefähigkeit.

  • Spielen baut soziale Beziehungen: Während dem Spielen wächst das soziale Gehirn. Das heisst, dass Spielen Empathie und echte Verbindungen zu anderen Menschen fördert.

  • Spielen unterstützt uns bei der Reise in unser echtes Sein: Spielen ist ein Zustand, in dem wir ganz wir sein dürfen - ohne Leistung, ohne Maske, ohne Bewertung. Es bringt uns zurück in unsere Essenz, zu dem, was uns wirklich lebendig macht. Wenn wir in einem Flow-Zustand sind und in unserem Tun ganz aufgehen ohne Zeitdruck, sind wir unserem echten Sein sehr nah. Wir handeln instinktiv, spontan, intuitiv und von innen heraus. Wir drücken uns selbst aus. Diese Momente zeigen uns, wer wir sind, wenn niemand zuschaut. Im Spielen sind wir nicht angepasst und kontrolliert, sondern echt.

    Plato sagte: „Sie können mehr über einen Menschen erfahren in einer Stunde des Spiels als in einem Jahr des Gesprächs.“

    Zudem bringt uns Spielen in Verbindung mit unserem Körper. Wenn wir uns spielerisch bewegen, tanzen, hüpfen oder improvisieren, erleben wir uns verkörpert. Wir spüren, was uns Freude macht, was sich stimmig anfühlt. Das ist wichtig, weil das wahre Selbst oft nicht im Kopf, sondern im Körperempfinden lebt – dort, wo unsere tiefsten Impulse wohnen.

Warum also sollten wir Erwachsenen mehr spielen? Weil Spielen uns bei unserer Stressbewältigung hilft und uns entspannt. Weil es uns leicht macht und unser emotionales und körperliches Wohlbefinden stärkt. Weil es unsere Kreativität, Innovation und unsere Verbundenheit mit anderen fördert und schliesslich, weil Spielen uns hilft unser echtes Sein zu entdecken und auszudrücken.

Zudem zeigt die Spiel-Forschung auch einen Zusammenhang zwischen einem Mangel an Spielen und unserer Reizbarkeit, unseren Ängsten, depressiven Verstimmungen und Gefühlen der Hoffnungslosigkeit. Ein Spiel-Defizit kann sich also negativ auf unsere psychische Gesundheit auswirken.

Vater und Kind beim Drachensteigen als Symbol dafür, warum Erwachsene spielen und es mehr tun sollten.

Spielen ist ein fundamentaler Aspekt unserer menschlichen Natur. Wenn wir spielen, sind wir unserem echten Sein am nächsten.

Dies bringt uns zu unserer letzten Frage:

5. Wie bringen Sie Spielen zurück in Ihren Alltag?

Ich selbst bin ein Kind dieser Gesellschaft. Lange war ich von Worten wie „Produktivität, Effizienz, Zielen und Zweck“ kulturell gefärbt. Spielen war etwas Vernachlässigtes in meinem Leben. Noch heute kann ich frustriert werden, wenn ich mit der Intention kreativ bin, ein schönes Bild zu malen und es mir nicht gelingt. Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie schnell es geschieht, das echte Spielen zu verlassen und wieder in Produktion oder Verzweckung zu „fallen“.

Das Spielen entdeckt habe ich während meiner Krankheit. Ich hatte keine Kraft mehr, ein Ziel zu verfolgen. Während dieser Zeit habe ich angefangen zu malen. Manchmal schaffte ich es eine halbe Stunde, manchmal eineinhalb Stunden. Anschliessend war ich wieder platt. Es ging dabei nicht darum, ein schönes Bild in den Händen zu halten. Es ging einfach darum, mich auszudrücken und mit dem verbunden zu sein, was ich fühle. Insofern hat mir die Krankheit geholfen, mein angeborenes Spielen wieder neu zu aktivieren und zu erfahren, wie es sich anfühlt.

Heute, wo ich weiss, wie wertvoll und notwendig Spielen für meine ganze emotionale, mentale und körperliche Gesundheit ist, kann ich mir ein Leben ohne Spielen nicht mehr vorstellen. Nun schaffe ich mir Raum dafür und baue es in meinen Alltag ein.

Ich möchte Sie ermutigen, das auch zu tun. Stuart Brown sagt:

„Ihr Spielschaltkreis ist einzigartig - eine Kombination der neuronalen Vernetzungen mit welchen Sie geboren sind und die sich entwickelt haben während Ihrer Kindheit. Auch wenn es Jahre her ist, seit Sie sich in einem Spiel-Zustand befunden haben, Sie können dahin zurückkehren. Alles, was es braucht ist Selbstwahrnehmung und den Willen es einfach zu tun“.


Aktivieren Sie Ihr innewohnendes Spiel neu, und kommen Sie in die Vorzüge, was Spielen in Ihrem Körper, Ihrer Psyche und Ihrem Gehirn bewirkt.

Hier ein paar Tipps, wie Sie Spielen neu in Ihren Alltag integrieren können:

  • Machen Sie mehr von den Tätigkeiten, die Sie in einen Flow-Zustand bringen.

  • Tanzen Sie während dem Kochen.

  • Singen Sie.

  • Blödeln Sie.

  • Malen Sie mit den Fingern oder Füssen.

  • Laufen Sie barfuss im Gras.

  • Spielen Sie mit Kindern oder Tieren.

  • Machen Sie Musik. Improvisieren Sie.

  • Lachen Sie über sich selbst.

  • Hüpfen Sie auf dem Trampolin.

  • Machen Sie witzige Geräusche.

  • Stehen Sie vor den Spiegel und schneiden Sie Grimassen.

  • Beobachten Sie Leute während Sie im Kaffee sitzen und erfinden Sie Geschichten.

Fazit:

Spielen ist viel mehr als nur eine unterhaltsame Ablenkung vom Alltag. Es ist ein kraftvolles Werkzeug, das Erwachsenen hilft, ihre emotionale, mentale und körperliche Gesundheit zu fördern, Stress abzubauen und ihre Resilienz zu stärken. Wenn wir uns selbst erlauben, wieder zu spielen, schaffen wir Raum für mehr Leichtigkeit, Kreativität, Innovation und emotionale sowie körperliche Ausgeglichenheit. Die Vorteile des Spiels für unser generelles Wohlbefinden und das Nervensystem sind weitreichend und sollten nicht unterschätzt werden. Zudem unterstützt es Sie, Ihr echtes Sein zu entdecken und auszudrücken. Also, warum warten? Nutzen Sie die Möglichkeit, das Spielen zurück in Ihr Leben zu bringen. Ob durch kreative Aktivitäten, Bewegung oder einfach durch Blödeln – geben Sie sich selbst die Erlaubnis, zu spielen und wieder mehr Leichtigkeit und Freude in Ihren Alltag zu integrieren. Es ist nie zu spät, zu spielen – und Sie sollten es unbedingt mehr tun.


Quellen:

Brown, Stuart, M.D. und Scott G. Eberle, Ph.D. The Power of Play: Losing and Finding Ourselves through Everyday Play. Carmel Valley, CA: The National Institute for Play, 2024.

Brown, Stuart, M.D. Play: How it Shapes the Brain, Opens the Imagination, and Invigorates the Soul. New York: Penguin, 2009.

 
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