Hokuspokus oder hilfreich: Was bringt Achtsamkeit wirklich?




Haben Sie sich auch schon gefragt, was Achtsamkeit wirklich bringt? Dieser Artikel möchte Ihnen diese Frage beantworten und eine kleine Übersicht bieten, warum sich Achtsamkeit auch für Sie lohnen könnte.

Mein persönlicher Nutzen von Achtsamkeit

Ich selbst bin mit Achtsamkeit in Berührung gekommen, als ich aufgrund einer Krankheit für mehrere Wochen in einer Klinik war. Am Anfang war es für mich ungewohnt und sogar etwas befremdlich. Ich habe das ganze Konzept nicht verstanden und ertappte mich dabei, wie ich Achtsamkeit innerlich auf Distanz hielt und es in die Schublade der „Gschpürschmi-Leute“ steckte. Zudem wollte ich diesem Hype um Achtsamkeit nicht nachgeben.

Vielleicht geht es Ihnen auch so. Vielleicht finden Sie das alles fragwürdig, und Sie sehen keinen Sinn, warum Achtsamkeit etwas für Sie sein sollte. Und schon gar nicht wollen Sie mit der damit verbundenen Spiritualität etwas zu tun haben.

Zitat zur Frage, was Achtsamkeit bringt: Verbundenheit in einer fragmentierten Welt

Was bringt Achtsamkeit? Verbundenheit in einer fragmentierten Welt.

An diesem Punkt kann ich Sie gleich beruhigen. Achtsamkeit hat nichts mit einer Religion zu tun, nichts mit Spiritualität und nicht einmal mit Meditation, obwohl es oft miteinander verknüpft wird. Achtsamkeit ist erst einmal einfach die Kunst als ganzer Mensch im gegenwärtigen Moment präsent zu sein und dabei Ihre Gedanken, Gefühle, Sinneseindrücke und Körperempfindungen wahrzunehmen ohne sie zu bewerten. Achtsamkeit ist also eine Art, wie Sie leben, um sich im Jetzt wieder verbunden zu fühlen in einer fragmentierten Welt.

Bei mir brauchte es eine Weile, bis ich mich mit Achtsamkeit anfreunden konnte. Erst als ich entdeckte, wie neue Lebensweisen aus meinem Inneren entstanden - unabhängig vom Modebegriff “Achtsamkeit” - konnte ich mich darauf einlassen und merkte, wie meine persönliche Entwicklung in einigen Punkten parallel verlief. So entdeckte ich vor allem, wie Achtsamkeit Stress und Ängste abbauen konnte, was in meinem Leben eine unglaubliche Bereicherung darstellte.

Stress- und Angstregulierung sind aber nur zwei von vielen positiven Effekten von Achtsamkeit. Mittlerweile ist ihre positive Wirksamkeit relativ gut wissenschaftlich erforscht. Nach anfänglichem Belächeln fand sie auch in der Medizin ihren Platz. Vor allem die durch Achtsamkeit langfristige Neustrukturierung des Gehirns beeindruckte die neurologische Welt.

Ich beziehe mich im Folgenden auf verschiedene Studien an unterschiedlichen Universitäten. Hier eine Übersicht dazu, was Achtsamkeit Ihnen bringen könnte:

Was bringt Achtsamkeit?

#1 Besserer Umgang mit Schmerzen und Krankheiten

Angefangen hat alles mit dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn in den 1970er Jahren. Er entwickelte Achtsamkeit um Schmerzpatienten ihren Dauerschmerz zu erleichtern.

Mittlerweile zeigen Studien, dass Achtsamkeit die Schmerzverarbeitung im Gehirn langfristig verändert, indem sie alternative neuronale Netzwerke stärkt. Sie reduziert auch die Aktivität der Amygdala und verringert so unsere emotionale Reaktion auf Schmerz.

Achtsamkeit kann Ihnen also dabei helfen, mit Schmerzen und Krankheiten besser umzugehen und sie weniger zu gewichten.

#2 Emotionsregulierung / Angstregulierung

Wie eben angedeutet hilft Achtsamkeit unserer Amygdala. Diese ist unsere Alarmanlage des Gehirns und zuständig für impulsive emotionale Reaktionen auf Bedrohungen oder Stress. Langfristig verkleinert Achtsamkeit die Amygdala und senkt so deren Aktivität. Dies führt zu weniger Stress, Angst und impulsiven Reaktionen. Zudem wird der präfrontale Kortex hinter der Stirn, welcher für rationales Denken und Handeln zuständig ist, gestärkt.

Achtsamkeit hilft also Ihre Emotionen wie beispielsweise Ängste zu regulieren und weniger impulsiv auf Situationen zu reagieren.

#3 Stressreduzierung

Achtsamkeit hilft bei der Stressreduzierung aber nicht nur mit der Verkleinerung der Amygdala. Sie verringert langfristig auch das Stresshormon Cortisol im Blut um bis zu 25% und aktiviert den Parasympatikus - unser Erholungssystem des Körpers. Indem die Achtsamkeitspraxis den Fokus auf den gegenwärtigen Moment lenkt und stressauslösende Gedankenmuster unterbricht, hilft sie zusätzlich gelassener und stressfreier zu leben.

#4 Erholsameren Schlaf

Wenn mit Achtsamkeit starke Emotionen reguliert, Stress reduziert und Grübeleien druchbrochen werden können, scheint es eine logische Schlussfolgerung, dass sich auch unser Schlaf verbessert. Seien Sie gespannt.

#5 Handlungsfähigkeit

Zudem haben Forscher bei regelmässig praktizierter Achtsamkeit beobachtet, wie sich im orbitofrontalen Kortex graue Zellen vermehrt haben. Dieser Teil des präfrontalen Kortex mit Sitz über den Augenhöhlen ist dafür zuständig, wie wir belastende Situationen bewerten und emotional darauf reagieren.

Achtsamkeitstraining verhilft also Situationen besser abzuwägen und bewusste Handlungen einzuleiten, ohne das nagende Gefühl Situationen einfach ausgeliefert zu sein. Sie erhalten so mehr Handlungsfähigkeit und eine gesunde Kontrolle über Ihre Lebensbereiche.

#6 Höhere Resilienz

Resilienz ist die Fähigkeit Herausforderungen und Krisen zu meistern. Die Fähigkeiten Emotionen zu regulieren, Situationen gut abzuwägen, bewusstes Handlen einzuleiten, Grübeln zu unterbrechen und gelassener im Jetzt zu leben, führt dazu, dass man Herausforderungen besser meistern kann, Probleme lösen und sich selbst wieder in einen Zustand von Sicherheit und Vertrauen führen kann.

Achtsamkeit stärkt also Ihre Resilienz und Widerstandsfähigkeit.

#7 Bessere Gedächtnisleistung

Bei regelmässig praktizierter Achtsamkeit wächst der Hippocampus im Gehirn. Dieser sitzt auf Höhe unserer Schläfen und ist für unsere Gedächtnisfunktionen zuständig.

Achtsamkeit hilft demnach, neue Informationen aufzunehmen und in das Langzeitgedächtnis zu überführen.

#8 Konzentrationsfähigkeit und Fokussierung

Wie bereits erwähnt, stärkt Achtsamkeit die präfrontalen Hirnregionen. Diese sind nicht nur für rationales Denken, sondern auch für Konzentration und Problemlösung zuständig.

So hilft die Achtsamkeitspraxis das Gehirn zu trainieren, Ablenkungen zu reduzieren und sich auf Aufgaben zu fokussieren. Dies sind gerade im Job oder Studium, aber auch in täglichen Arbeiten sehr nützliche Fähigkeiten.

#9 Verbesserte Präsenz

Mit dem Fokus auf den gegenwärtigen Moment und das bewusste Wahrnehmen seiner Gedanken, Gefühle oder Körperempfindungen, steigert Achtsamkeit nicht nur die Aufmerksamkeit, sie verbessert auch die Präsenz im Jetzt und das bewusste Dasein. Dies wiederum hat Auswirkungen auf das Erleben von Nähe und die Beziehung zu anderen.

#10 Höhere Verbundenheitsgefühle und echtere Beziehungen

Eine Studie zeigte, dass Menschen, die eine achtsame Haltung kultivierten, höhere Oxytocin-Spiegel aufwiesen und sich darum sozial verbundener fühlten als Menschen ohne praktizierte Achtsamkeit. Verantwortlich dafür ist der durch Achtsamkeit aktivierte Hypothalamus, die Steuerzentrale des Hormonsystems und verantwortlich für die Oxytocinproduktion.

Achtsamkeit hilft Ihnen also nachweislich soziale Bindungen, Vertrauen, emotionale Nähe und Intimität zu empfinden und so Beziehungen echter und tiefer zu erleben.

#11 Mehr Empathie

Achtsamkeit erhöht auch die Konnektivität zwischen dem medialen präfronalen Kortex und anderen Hirnregionen, wie der Insula, einer tief im Gehirn sitzenden Struktur, welche eine Schlüsselrolle im Empfinden von Empathie einnimmt. Die durch Achtsamkeit dichtere graue Masse im medialen präfrontlen Kortex führt ebenfalls zu höherem Einfühlungsvermögen und empathischem Verhalten sich selbst und anderen Menschen gegenüber.

Achtsamkeit führt also zu verständnisvollerem und empathischerem Empfinden und Verhalten.

#12 Besseres Sättigungsgefühl

Achtsamkeit mag kein Multitasking. Sie setzt die Aufmerksamkeit auf eine Sache. Wenn angewendet bei bewusstem Essen ohne gleichzeitige Ablenkung durch Social Media, WhatsApp und dergleichen, lernt man, besser auf das Sättigungsgefühl zu hören und steigert das allgemeine Wohlbefinden.

#13 Hilfe besser durch Krankheit zu kommen

In verschiedenen Studien hat man die Wirksamkeit von Achtsamkeit im Heilungsprozess von Krankheiten, wie Rückenschmerzen, Migräne, Essstörungen, ADHS, Depressionen, PTSD und Schuppenflechte, getestet. In jedem Fall half Achtsamkeit merklich besser durch die Krankheit zu kommen. Patienten konnten die Krankheit neutraler annehmen, lernten, sich nicht damit zu identifizieren und gelasser auf Krankheitsverläufe zu reagieren.

#14 Stärkung des Immunsystems

Sogar Krebspatienten kamen mithilfe von Achtsamkeit merklich besser durch Ihre Krankheit. Ihr Immunsystem wurde laut einer Studie wesentlich gestärkt. Verantwortlich dafür waren die Vermehrung der Antikörper, die Produktion von natürlichen Killerzellen, die Senkung des Cortisolspiegels und die Reduzierung von aktiven pro-inflammatorischen Genen.

Achtsamkeit verhilft zu einem besseren Immunsystem und weniger entzündlichen Prozessen im Körper.

#15 Selbstfindung

Auf dem Weg sein echtes Sein zu entdecken, ist es wesentlich einen guten Zugang zu sich selbst zu haben. Achtsamkeit hilft bei sich selbst anzukommen, sich mit sich selbst zu versöhnen und mit Ruhe wahrzunehmen, was in Ihnen da ist.

Die Achtsamkeitspraxis ist darum ein guter Begleiter auf Ihrer Reise zu sich selbst und schenkt Ihnen Klarheit über sich und Ihre Lebenssituationen.

Fazit: Hilfreich und ein bisschen Hokuspokus

In dem Sinne: Achtsamkeit ist kein Hokuspokus für Gschpürschmi- oder besonders spirituelle Menschen, sondern ein “medizinisches” Training, das Ihre Gesundheit positiv beeinflusst, während Krankheiten hilft, präventiv vor Erkrankungen schützt und Ihnen zu mehr Lebensfreude, Zufriedenheit und Wohlbefinden verhilft.

Dass Achtsamkeit Ihnen sehr viel bringen kann, ist damit sonnenklar.

Aber: Achtsamkeit ist nicht das Heilmittel für alles. Ich plädiere dafür, dass auch Achtsamkeit mit einem wachen Geist betrachtet und praktiziert wird, sonst mutiert sie ganz schnell selbst zu einer Religion und Hoheit über alles und jeden. Wenn man die Achtsamkeitsbubble genauer betrachtet und sich mit Menschen, die sich darin bewegen, auseinandersetzt, merkt man schnell, dass pseudowissenschaftliche und esotherische Ansätze - also doch ein bisschen Hokuspokus - genauso Teil davon sind, wie ausgewogene medizinische. Zudem ist auch nicht immer Achtsamkeit drin, wo Achtsamkeit drauf steht. Durch die Popularität des Konzeptes, klebt man die Ettikette schnell auf die Verpackung und wenn man hineinblickt, findet man genauso ausbeuterische und machtmissbräuchliche Strukturen, wie man es auch anderswo antrifft.

Darum, suchen Sie sich die reflektierten Achtsamkeitsansätze, die zu Ihnen passen und Ihnen zu einem Lebensrhythmus verhelfen, der in Einheit ist mit Ihrem echten Sein. Lernen Sie so die wunderbare Art im Jetzt zu leben und mit sich selbst und anderen verbunden zu sein und geniessen Sie alle Vorzüge, die Achtsamkeit Ihnen persönlich bringt.


Quelle:

- Kuss, Melanie. Achtsamkeit aus medizinischer Sicht.

- Mischke Reeds, Manuela. 8 Keys to Practicing Mindfulness. New York: Norton, 2015.

 
Zurück
Zurück

Achtsamkeit oder Blödheit: Ein Gedankenanstoss

Weiter
Weiter

Achtsamkeit: Kinder als beste Ratgeber für ein Leben im Jetzt